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Seevetaler Kuenstler



"Abendblatt", 22.2.2018

Was von der Seevetaler Künstlerszene bleibt


Sie sind schon längst Geschichte, haben aber ihre Spuren in und um Hamburg hinterlassen: 33 Jahre wirkten die zehn Künstler hier. (Bericht von Stefanie Ender)


Kulturjournalist Ernst Brennecke (v.l.) und Michel Weidemann, Gründungsmitglied der Künstlergruppe, erinnern sich an den Anfang der Seevetaler Künstler im Jahr 1974.


Hittfeld:
Zwischen geschäftig umher laufenden Menschen sitzt am Fleester Markt eine Bronzeskulptur. An der Meckelfelder Bibliothek befindet sich eine zweite, auch sitzend und hier lesend. Die Suche nach den Schöpfern dieser und anderer Kunstwerke im öffentlichen Raum in und um Hamburg führt zu einer längst aufgelösten, ihrer Tage bekannten Künstlergruppe aus Seevetal.


Begonnen hat das Wirken der Seevetaler Künstler 1974 im Hittfelder Gymnasium am Peperdieksberg. Die damals zehn euphorischen Maler, Skulpturenbauer und Zeichner schufen 33 Jahre lang Werke, die im geräumigen Foyer des Schulhauses ausgestellt wurden. 2007 gab es die letzte Schau.


Inzwischen suchen Seevetaler nach den Überresten.


„Ich bin dabei, Informationen über die Künstler aus ihrer Gründerzeit zu sammeln“, sagt Henning Drewes, Vorsitzender des Hittfelder Heimatvereins, der bereits im vergangenen Jahr das Grab von Martin Irwahn aufpolierte und der Skulptur „Hahn“ von Ulrich Heitmüller-Schimmel einen Ehrenplatz im Hittfelder Gymnasium verschaffte. Beide Verstorbenen waren Gründungsmitglieder der Künstlergruppe. Drewes und sein Mitstreiter Klaus Prigge wollen die künstlerische Vergangenheit von Seevetal bewahren. „Von Zeichnungen über Gemälde bis zu Skulpturen waren die Arbeiten vielfältig“, sagt Prigge.


Informationen aus der Gründungszeit zu beschaffen, ist für Henning Drewes ein langwieriges Unterfangen – vor allem, da viele der einstigen Mitglieder verstorben oder verzogen und ihre Werke weit verstreut sind. So stehen laut Hamburger Kulturbehörde die Skulpturen heute nicht nur an öffentlichen Orten in Harburg und Seevetal, sondern sind sogar zwischen Jenfeld, Rissen und Wilhelmsburg verteilt. Henning Drewes vermutet, dass viele der Künstler früher in der Großstadt lebten und aufs Land zogen, um hier zu arbeiten.


Michel Weidemann, damals jüngstes Gründungsmitglied der Künstlergruppe, kann sich noch gut an die Zeit erinnern. „Damals lebte ich in Spanien und bekam einen Anruf von meinem Vater Hans. Er erzählte, dass er mit anderen Künstlern einen Ausstellungsraum im Hittfelder Gymnasium gefunden hatte“, berichtet Weidemann von den Anfängen im Jahr 1974. Kurz darauf zog er nach Seevetal und wirkte als eines der zehn Gründungsmitglieder der neu entstandenen Kunstszene, die sich fortan „Seevetaler Künstler 1974“ nannte.


Zunächst jährlich, später im Zweijahresrhythmus, stellten sie Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen im 500 Quadratmeter großen Foyer des neu gebauten Schulzentrums am Peperdieksberg aus. „Das Gebäude begeisterte, denn zu unserer Zeit sahen Schulgebäude wie Kasernen aus. Ich kann verstehen, dass Hans Weidemann ausgeflippt ist“, erklärt der mittlerweile pensionierte Journalist Ernst Brennecke, der das Wirken der Seevetaler Kreativen als Kulturchef der „Harburger Anzeigen und Nachrichten“ begleitete.


Eine Künstlergruppe hier am Rande von Hamburg aufzubauen, gelang Hans Weidemann, damals treibende Kraft, durch seine Kontakte zum Gruner&Jahr Verlag und den glücklichen Umstand, dass es bereits eine Kreisvolkshochschule in der zwei Jahre zuvor, nämlich 1972, gegründeten Gemeinde Seevetal gab. Durch sie wären potenzielle Geldgeber, wie die Kreissparkasse, leichter vom Wert einer Künstlergruppe zu überzeugen gewesen, meint der heute 78-jährige Sohn Michel.


„Die ersten drei Kataloge bekamen wir durch den Verlag gefördert, später unterstütze die Sparkasse. Es half sehr, dass mein Vater bei der Zeitschrift „Stern“ arbeitete und eng mit Henri Nannen befreundet war“, erinnert sich Weidemann. Die ersten Kataloge habe sein Vater Hans gleich im eigenen Verlag drucken lassen. Die damals auf Grund der Berichterstattung durch ZDF-Moderator Gerhard Löwenthal bundesweit im Rampenlicht stehende Freundschaft erregte Aufsehen. Vor allem die SS-Vergangenheit Weidemanns beschäftigte die Medienmacher.


Der „Spiegel“ berichtete 1970, dass Weidemann trotz Tätigkeit bei der Nazi-Propaganda-Einheit „Südstern“ von Henri Nannen als Bundeswettbewerbsleiter der „Stern“-Aktionen „Jugend forscht“ und „Jugend trainiert für Olympia“ eingesetzt wurde. Sohn Michel kann erklären, warum Nannen trotz öffentlich bekannt gewordener Nazivergangenheit seines Vaters und dem damit schlechten, auf ihn geworfenen Licht, in den 80er Jahren weiterhin zu der Freundschaft hielt: „Mein Vater rettet Henri Nannen im Zweiten Weltkrieg an der Front in Italien das Leben. Er war Hauptmann und Nannen Gefreiter. Sie waren Männer der alten Schule und des Handschlags. Henri vergaß das meinem Vater nie. Dennoch musste er wegen der dunkelbraunen Vergangenheit meines Vaters vorsichtig sein.“


Über die politische Färbung der Gründungsmitglieder vor oder während des künstlerischen Wirkens wird heute wenig gesprochen. Vor allem weil die Werke unpolitisch scheinen und hauptsächlich Natur- oder Stimmungsbilder zeichnen. Angeeckt sind einige Kunstwerke dennoch: „Viel Diskussion gab es zum Beispiel um aufgestapelte Parkettbausteine oder einen bunten Klecks“, sagt Drewes und meint eine Skulptur und ein Gemälde von Sabine von Diest-Brackenhausen.


Den meisten Künstlern sei es darum gegangen, Dinge der Region darzustellen, meint Drewes und zeigt auf eine Reh-Skulptur von Martin Irwahn aus dem Jahr 1973, die heute vor der Hittfelder Sparkasse steht. Auch vor dem Rathaus sitzt eine Bronzeskulptur von Irwahn aus dem Jahr 1979. Diese zeigt eine Frau, die ihr Kind umarmt. Über die Grenzen Seevetals lassen sich weitere Spuren finden, zum Beispiel des Künstlers Heitmüller-Schimmel. Er war bekannt für lebensgroße Skulpturen und Selbstbildnisse. So steht eine seiner Steinskulpturen an der Ladenzeile am Hanhoopsfeld und eine Bronze-Blech-Skulptur am Soltauer Rind in Harburg.


2007 ist die Ausstellungsreihe der „Seevetaler Künstler 1974“ eingeschlafen. „Ich war unbedingt dafür. Es war sehr anstrengend,regelmäßig so umfangreiche Ausstellungen zu machen und raubte wertvolle schöpferische Zeit“, erklärt Michel Weidemann, der noch heute an einem seiner Werke von damals bastelt.


„In Seevetal gibt es eine lange Künstlertradition“, sagt Kulturjournalist Brennecke. Schon um 1900 hätten die Freilichtmaler, eine Art Künstlerkolonie , die unter freiem Himmel malte, hier gelebt.